Stimme der Stimmlosen sein: 25 Jahre VIVAT International

Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich ein weltweiter Zusammenschluss von Ordensfrauen und -männern für nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte ein. Organisiert sind sie in der Nichtregierungsorganisation VIVAT International. Diese ist auf Ebene der Vereinten Nationen aktiv, wo sie Lobbyarbeit betreibt, wirkt aber auch auf Graswurzelebene. Die Steyler Missionarin Petronella Boonen ist im Beirat der NGO. Bei einem Besuch in Sankt Augustin stellte sie ihr persönliches Engagement und die Arbeit von VIVAT International vor.

Die Steyler Missionarin Petronella Boonen setzt sich mit der NGO VIVAT International für Menschenrechte ein.

Schwester Petronella Boonen stammt ursprünglich aus Luxemburg. Doch schon seit vielen Jahrzehnten ist Brasilien ihre Heimat geworden. Ein Land, das ihr offensichtlich nah ist. „Trotzdem“, so sagt sie, „verstehe ich Brasilien auch nach 40 Jahren immer noch nicht“.

Als junge Frau machte sie sich auf den Weg nach Südamerika, um dort als Missionarin auf Zeit in Steyler Projekten mitzuwirken. Eine Entscheidung, die ihr Leben prägen sollte, und schließlich zum Eintritt in die katholische Ordensgemeinschaft führte.

Ein Glauben, der verändern will

In Brasilien lernte Schwester Petronella eine sehr politische Strömung innerhalb der katholischen Kirche kennen. „Ich sah Jesus immer als jemanden, der die herrschenden Strukturen herausfordert“, beschreibt sie die radikale Hinwendung zu den Armen und Benachteiligten. Die Befreiungstheologie war angetreten, die Kirche und Gesellschaft zu verändern. Ein Aufbruch innerhalb der lateinamerikanischen Kirche, der bis heute für kircheninterne Spannungen sorgt.

Spannung und Gegensätze beherrschen auch São Paulo, wo Schwester Petronella lebt. Die brasilianische Metropole wird oft als die Stadt mit der größten sozialen Ungleichheit beschrieben. Extreme Armut und unermesslicher Reichtum liegen dort ganz nah beieinander. Besonders in den 90er-Jahren wurde die Steyler Missionarin häufig Zeugin von Gewalt. „Ich habe einige Mordopfer mit ihren Schusswunden auf öffentlichen Straßen liegen sehen.“

Versöhnung statt Strafe

Den Einsatz für Menschenrechte hat Schwester Petronella schon vor vielen Jahren begonnen. Lange vor ihrer Arbeit für VIVAT International. Seit 2002 arbeitet sie in São Paulo im Zentrum für Menschenrechte und Volksbildung (CDHEP – Centro de Direitos Humanos e Educação Popular de Campo Limpo). Dort ist sie für das Thema der „wiederherstellenden Gerechtigkeit“ verantwortlich. Die meisten Justizsysteme setzen auf Strafe und Abschreckung. Dagegen fördert CDHEP Wiedergutmachung und bringt Täter und Opfer in einen Dialog. „Uns geht es um Vergebung und Versöhnung, nicht um einen strafenden Umgang mit Kriminalität. Denn die Strafe für die Täter hilft dem Opfer nicht“, ist die Missionarin überzeugt.

Einsatz gegen systemische Ungerechtigkeit

Ihre Arbeit für das Menschenrechtszentrum führte Schwester Petronella schließlich in den Beirat von VIVAT International. Gegründet wurde die NGO im Jahr 2000 von den Steyler Missionarinnen und Missionaren. Inzwischen tragen elf katholische Ordensgemeinschaften aus aller Welt mit 17.000 Mitgliedern die Organisation.

Gemeinsam wollen die Ordensleute Druck ausüben und Veränderung bewegen. Oder, wie Schwester Petronella sagt, „Stimme der Stimmlosen“ sein. Beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat die Nichtregierungsorganisation den Konsultativstatus erlangt. Dieser ermöglicht VIVAT-Vertretern, an UN-Sitzungen teilzunehmen und ihre Anliegen in verschiedenen UN-Gremien vorzubringen. Die Vereinten Nationen wollen auf diesem Weg die Expertise und die Perspektiven der Zivilgesellschaft in ihre Arbeit integrieren. 

VIVAT ist vor allem in zwei Gremien aktiv: beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) in New York sowie dem Menschenrechtsrat (UNHCR) in Genf. Zudem kümmern sich die Vertreter verstärkt um Umweltthemen, da diese einen großen Einfluss auf das Leben vieler Menschen haben. Daher ist das UN-Umweltprogramm (UNEP) mit Sitz in Nairobi eine weitere wichtige Adresse der Arbeit.

Konkrete Ziele der Arbeit

Auf programmatischer Ebene setzt sich VIVAT unter anderem dafür ein, armen Ländern ihre Schulden zu erlassen. „Wir wollen die Länder des Südens finanziell stärken, damit diese sich besser an die Folgen des Klimawandels anpassen können.“

VIVAT International ist auch für die Steyler Ethik Bank ein wichtiger Ansprechpartner. Oft setzen sich NGO und Bank sogar für die gleichen Anliegen ein, wie etwa im Fall der Geothermie-Projekte auf der Insel Flores in Indonesien (hier berichteten wir dazu). Viele indigene Gemeinschaften beklagen gravierende Beeinträchtigungen durch die Kraftwerksprojekte. Während die Steyler Ethik Bank daraufhin einen Unternehmensdialog mit dem Projektfinanzierer KfW begann, trugen VIVAT-Vertreter die Anliegen der Betroffenen im Februar 2025 vor dem UN-Menschenrechtsrat vor.

Es braucht einen langen Atem

Glauben heißt für Schwester Petronella, für andere eintreten. „Sonst kann ich nicht ruhig sein.“ Dabei ist sie sich allzu sehr bewusst, wie gering der Einfluss jedes Einzelnen ist. Auch Organisationen wie VIVAT müssen hart arbeiten, um sich Gehör zu verschaffen. Schnelle und umfassende Veränderungen lassen sich nicht erzwingen.

„Ich bin ein Bauchmensch: Ich weine oft vor Ohnmacht und Wut“, erzählt sie ganz offen. Vor einigen Jahren hatte die Ordensfrau ein regelrechtes Schlüsselerlebnis. Eine junge Frau aus ihrem persönlichen Umfeld sagte zu ihr: „Du leidest, weil du noch glaubst, dass es anders sein könnte.“ Ein Satz der sie stark beschäftigt. Wer der Missionarin zuhört, hat allerdings keinen Zweifel, dass sie vor allem auf den zweiten Teil der Aussage setzt: Eine andere Welt ist möglich! 

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