Gas und Öl sind die wichtigsten Energieträger im Energiemix der EU-Länder. Deutschland ist sogar der weltweit größte Importeur von Erdgas. Hierzulande betrug der Anteil von Gas am gesamten Primärenergieaufkommen 2020 gut 26 Prozent, davon lieferte Russland rund die Hälfte. Dies entsprach etwa 500 Millionen Kilowattstunden (TWh).
Gas wird vor allem in der Industrie (36 Prozent) und in Haushalten (31 Prozent) verwendet. Jeder zweite deutsche Haushalt wird zurzeit mit Gas beheizt. In der Industrie dient Erdgas zur Herstellung von Prozesswärme, aber auch – weniger bekannt – als wichtiges Vorprodukt. Beispielsweise verwenden Chemieunternehmen es unter anderem für die Herstellung von mineralischem Dünger.
Auch wenn der Anteil von Gas an der Stromversorgung 2020 nur 14 Prozent ausmachte, ist die Bedeutung für die Versorgungssicherheit enorm. Gaskraftwerke werden gezielt eingesetzt, um die schwankende Produktion von Wind- und Solarenergie sowie Verbrauchsspitzen auszugleichen. Denn Spannungsschwankungen können großflächige Stromausfälle zur Folge haben. Zu den schnell zuschaltbaren Gaskraftwerken gibt es bisher kaum eine Alternative. Wesentlich leichter ist es dagegen, die russischen Öllieferungen zu ersetzen. Per Saldo sind mehrere europäische Länder wie Italien, Österreich und die Bundesrepublik sehr stark abhängig von Energie aus Russland.
In der Zwickmühle
Wie beim Thema Rüstung gestaltet sich das Thema Energiesicherheit zur Zwickmühle. Einerseits hätten ein Gas-Embargo oder die Einstellung der Lieferungen durch Russland massive Auswirkungen auf die Wirtschaft in Europa. Andererseits ist es angesichts zahlreicher Berichte über Kriegsverbrechen in der Ukraine schwer erträglich, dem Aggressor noch in erheblichem Umfang Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Auf dem Tisch liegen nun diverse Vorschläge: So sollen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke nicht wie geplant zum Jahresende abgeschaltet werden und zumindest für eine Übergangszeit weiterlaufen. Gleichzeitig soll wieder mehr Strom aus Kohle erzeugt werden. Das Pipelinegas aus Russland wiederum soll so weit wie möglich durch Flüssiggas (LNG) ersetzt werden. Allerdings hat LNG wegen der aufwendigen und umweltschädlichen Fördermethoden eine deutlich schlechtere Klimabilanz. Denn viele Produzenten nutzen Fracking, hinzu kommt der Energieaufwand für die Verflüssigung sowie den Transport per Schiff.
Wer wird der Lückenbüßer?
Egal ob durch ein aktives Embargo oder durch eine Liefereinstellung seitens Russlands: Ohne russisches Erdgas entsteht auf jeden Fall eine Lücke, die entweder zulasten der Industrie oder der Haushalte („Frieren für den Frieden“) geht. Nach derzeitiger Rechtslage genießen die Haushalte Versorgungspriorität.
Ein wichtiges Argument gegen ein Embargo lautet, dass eine effektive Unterstützung der Ukraine unmöglich wird, wenn die Wirtschaft in den EU-Ländern einbricht. Damit verbunden könnte die gesellschaftliche Akzeptanz für die Unterstützung der Ukraine deutlich zurückgehen. Auch die Ziele zur Minderung der Treibhausgase Kohlenstoffdioxid und Methan dürften in den kommenden Jahren nicht mehr haltbar sein.
Welche Entscheidungen auch immer getroffen werden: Die missliche Lage, in der wir uns zurzeit befinden, ist die Quittung für die Versäumnisse der vergangenen Dekade. Noch immer liegt der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch unter 20 Prozent. Dabei wäre viel mehr möglich gewesen.
Kein Umsteuern bei den Anlagekriterien
Wie positionieren wir uns nun als ethisch-nachhaltiger Investor in dieser schwierigen Gemengelage? Klar ist: Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Und dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen stärken sie die Unabhängigkeit von undemokratischen oder gar totalitären Staaten, die über die größten Bodenschätze verfügen, und verbessern die Versorgungssicherheit. Zum anderen können wir nur mit sauberen Energiequellen den Klimawandel stoppen.
Das furchtbare Leid der ukrainischen Bevölkerung, die Sachzwänge bei der Energieversorgung und politische Überlegungen mögen unpopuläre Entscheidungen erfordern. Aber auch hier gilt: Es kann nicht Sache privater Investoren sein, nun ihre wohlbegründeten Überzeugungen über Bord zu werden. Daher werden wir weiterhin durch ökologisch motivierte Kriterien einen Anreiz schaffen, die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Klar ist auch, dass es nicht an den Technologien mangelt, sondern am Willen zur schnellen Umsetzung im großen Maßstab.
Einige Beispiele:
1) Hebung von Potentialen zur Steigerung der Energieeffizienz: In diesem Bereich wird durch die Signalwirkung der zuletzt massiven Preissteigerungen einiges in Gang kommen. Wichtig ist, in der jetzigen Lage gezielt finanzschwachen Haushalten zu helfen, anstatt pauschal Benzin und Diesel zu subventionieren.
2) Sinnvolle Anreizstrukturen zur Sanierung von Mehrfamilienhäusern, deren technischer Standard nach statistischen Erhebungen schlechter ist.
3) Zubau von Photovoltaik und Windkraft in industrieller Dimension.
4) Etablierung von Langzeit(-Wärme)speichern.
5) Konsequente Umsetzung einer europäischen Vernetzung: Die realisierbaren Erträge aus Photovoltaik steigen Richtung Süden deutlich an; Windkraft ist z.B. auch am Mittelmeer bzw. Schwarzen Meer sehr gut nutzbar.
Die Regierungen der EU-Staaten müssen natürlich Wege finden, die aktuelle Krisensituation zu meistern. Das ändert aber nichts daran, dass wir fossile Brennstoffe und Atomkraft in den von uns verwalteten Portfolien weiter ablehnen.
Im April haben die CO2-Werte in der Atmosphäre erstmals den Wert von 420 ppm überschritten. Eine aktuelle Veröffentlichung beziffert die Wahrscheinlichkeit mit über 50 %, dass die Erderwärmung bereits in den nächsten Jahren den Wert von 1,5 Grad überschreitet. Andere der sogenannten planetaren Belastungsgrenzen sind in noch schlechterer Verfassung als das Klimasystem.
Die derzeitig weit überwiegend eingesetzte Leichtwassertechnologie in Kernkraftwerken stellt nach unserer Auffassung aus Sicherheitsgründen keinen Ausweg dar.
Andreas Stehr
Alle Details zum Ausschluss von fossilen Brennstoffen und Kernkraft finden Sie in unseren Nachhaltigkeitsrichtlinien.